Staatsanwalte und Innenministerium schweigen:
Hunderte von Neonazis tummeln sich in Saarbrücken
Brutale Übergriffe von Rechtsradikalen nach Rechtsrockkonzert / Plötzlich waren’s Obdachlose und Randgruppen
Saarbrücken. In der Nacht zum heutigen Sonntag trugen sich in der Innenstadt von Saarbrücken mehrere Schlägereien zu. In einem Fall schlugen gegen 2 Uhr drei Täter einen Mann in der Fußgängerzone Bahnhofstraße brutal zusammen. Der Mann wurde mit Brüchen und einer Wirbelsäulenverletzung in die Winterbergklinik eingeliefert. Die Schläger wurden nach Abschluß der Ermittlungen auf freien Fuß gesetzt. Im Polizeibericht ist nicht vermerkt, ob es sich um die Tat von Rechtsradikalen handeln könnte.
Eindeutig neonazistischen Hintergrund hatte indes eine kurz darauf auf dem St. Johanner Markt stattfindende Massenschlägerei, die im offiziellen Polizeibericht an die Medien recht unscharf als Schlägerei zwischen Rechten, Linken, Randständigen, Obdachlosen und Saarspektakel-Besuchern dargestellt wird. Im Polizeibericht heißt es unter anderem:
Gegen 2.40 Uhr gingen bei der Polizei mehrere Notrufe ein, wonach sich am St. Johanner Markt eine größere Menschenmenge eine Schlägerei liefere. Durch die Einsatzkräfte wurde festgestellt, daß mehrere Gruppierungen (hier: rechte Szene, linke Szene, Obdachlosen- bzw. Randständigen-Szene) in eine handfeste Schlägereien verwickelt waren. Auch unbeteiligte Besucher des
Saarspektakels seien betroffen und auch Flaschen und Bierkrüge wurden geworfen. Es herrschte totale Massenhysterie, und die Situation drohte zu eskalieren, weshalb weitere Unterstützungskräfte angefordert wurden. Im Rahmen der folgenden Ermittlungen wurde feststellt, daß Personen der „rechten Szene” und eine Gruppe „Skinheads”, die alle alkoholisiert waren, aufeinandergetroffen waren. Hierbei sind auch A-typische (? – Die Red.) Ausrufe der rechten Szene gefallen; diese konnten jedoch niemandem zugeordnet werden. Während dieser Auseinandersetzung wurden unbeteiligte Festbesucher ebenfalls angegangen, woraufhin dann die Flaschen und Bierkrüge geworfen wurden. Auch die ermittelnden Polizeibeamten wurden immer wieder von den unterschiedlichen Gruppierungen angegangen und gestört. Auch eine Gruppe von Obdachlosen bzw. randständigen Personen hat sich an Straftaten, insbesondere gegen Polizeibeamte, beteiligt. Durch die starken Polizeikräfte (20 Beamte) konnte dann die Lage entschärft werden. Derzeit laufen noch die Ermittlungen; Strafanzeigen unter anderem wegen Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Landfriedensbruch, Widerstand gegen Polizeibeamte, Körperverletzung und Beleidigung von Polizeibeamten.
Soweit die Polizeimitteilung. Deutlicher die Medienmitteilung von BIFOR, die dem SAAR-ECHO vorliegt. Da heißt es:
Nach Ansicht des BIFOR Bildungs- & Forschungswerk Saar-Lor-Lux stehen die Übergriffe von Neonazis in den Morgenstunden des heutigen Sonntags auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücken im Zusammenhang mit einer NPD-Wahlkampfveranstaltung, die am gestrigen Abend in Saarbrücken stattgefunden hat. Mehrere hundert Neonazis, darunter auch zahlreiche rechte Skinheads aus dem gesamten Bundesgebiet, waren gestern zu einem Rechtsrockkonzert der NPD nach Saarbrücken gereist.
Das Konzertprogramm, welches u.a. von den Freien Kameradschaften wie etwa der „Kameradschaft Saarlautern“ aus Saarlouis beworben worden war, war mit internationalen Neonazibands besetzt. Angekündigt waren SKD (Thüringen), Selbststeller (Riesa), Lemovice (Frankreich), Calslagen (Black Metall aus den Niederlande), Brigade M (Niederlande) und Hauptkampflinie – HKL. Die Schirmherrschaft der Veranstaltung hatte der sächsische NPD- Landtagsabgeordnete Klaus Menzel inne. Die Veranstaltung, die unter dem Motto „Wir rocken den Reichstag - NPD in den Bundestag!“ stattfand, stellt den Versuch dar, das militante Neonazispektrum, insbesondere jenes der „Freien Kameradschaften“, enger an die Partei zu binden und Aktivisten für den anstehenden NPD-Bundestagswahlkampf zu gewinnen.
Dass die Neonazis für ihre Großveranstaltungen das Saarland als Veranstaltungsort auswählen, ist kein Zufall. Innerhalb der Neonaziszene hat das Saarland den Ruf, dass sich hier ohne größere Proteste und polizeiliche Repressalien Großveranstaltungen durchführen lassen. Auch die gestrige Veranstaltung wurde nach Meinung von BIFOR von polizeilicher Seite vollkommen unterschätzt. Das Saarland, insbesondere der Stadtverband Saarbrücken, war in den vergangenen Jahren immer wieder Schauplatz bundes- und europaweiter Neonazitreffen. Auch bei den Versuchen der europäischen radikalen Rechten, sich zu einem europäischen Netzwerk einer „Nationalistischen Front“ zu konstituieren, spielt das Saarland eine herausragende Rolle. Mit der jährlich in Saarbrücken stattfindenden NPD-Sommerakademie verfügt die europäische Rechte über einen ungestörten Tagungs- und Veranstaltungsort. Mit dem gestrigen Rechtsrockkonzert hat diese Entwicklung jedoch einen weiteren qualitativen Sprung erlebt.
Wie bis zu 500, zumeist militante Neonazis ungestört zu einem Rechtsrockkonzert in Saarbrücken anreisen und einzelne Gruppen anschließend Jagd auf Menschen in der Saarbrücker Innenstadt veranstalten können, ist eine Frage, die wohl die Innenministerin beantworten können sollte. Das Gefahrenpotential war jedenfalls absehbar - zumal die gestrigen Neonazibands zum Teil offen zur Gewalt aufrufen. Zitat einer Textzeile der Band HKL: ”Und dann kommen sie in Scharen, Idiotenvolk mit bunten Haaren - Denn nur im Rudel sind sie mutig - Allein kriegen sie die Nase blutig” (Hauptkampflinie: Rücken zur Wand, 1997).
In diesem Zusammenhang ist es geradezu skandalös, daß bis zu unserer Veröffentlichung am Sonntag gegen 17 Uhr keine Stellungnahme und Bewertung durch die Staatsanwaltschaft Saarbrücken vorlag – jedenfalls nicht der Online-Zeitung SAAR-ECHO. Von daher kann man zumindest annehmen, daß die Ermittlungsbehörde die Polizei allein im Regen stehen läßt. Und auch vom Innenministerium war nichts zu vernehmen. Gerade von diesen Stellen hat die Öffentlichkeit eindeutige Informationen zu erwarten, zumal inzwischen die Staatsanwaltschaft Saarbrücken – sie ist für das Saarland zuständig – im Verdacht steht, auf dem rechten Auge blind zu sein. Das Bildungswerk BIFOR dehnt diesen Verdacht gar auf die Polizei des Landes und auf andere Behörden aus. Es scheint an der Zeit, daß der im saarlandweiten Richterverein – Vorsitzender ist der „öffentlichkeitsarbeitende“ Oberstaatsanwalt Raimund Weyand – als Mitglied fungierende Ministerpräsident Peter Müller die Dinge an sich zieht und für eine offizielle Überprüfung der Organe unserer Rechtspflege sorgt. Das scheint im Saarland dringend notwendig. (SE)