Alljährlich finden in Wunsiedel Gedenkmärsche anlässlich des Todestages von Kriegsverbrecher Rudolf Hess statt. Diese Aufmärsche sind ein besonders deutliches Beispiel für NS-Verherrlichung und Geschichtsrevisionismus. Am 21. August 2004 marschierten hier ca. 4500 Alt- und Neonazis. Der Hess-Gedenkmarsch hat sich zu einem der wenigen jährlichen Events der deutschen und internationalen Naziszene entwickelt, welches als Schnittstelle für verschiedene Generationen und Spektren der extremen Rechten dient. Darüber hinaus bietet der Bezug auf Hitlerstellvertreter Rudolf Hess die symbolhafte Möglichkeit, ohne staatliche Repression direkt einem Protagonisten des Dritten Reiches zu huldigen.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Kampagne NS-Verherrlichung stoppen gegründet. Sie richtet sich gegen jede Art von NS-Verherrlichung, Revisionismus und Relativierung der Deutschen Geschichte.
In diesem Jahr jährt sich die Befreiung vom Nationalsozialismus zum 60ten Mal. Es wird ein Jahr sein, in dem Revisionisten sowie Alt- und Neonazis sich bemühen werden, die deutsche Vergangenheit umzudeuten und an einen gesellschaftlichen Diskurs anzuknüpfen, der versucht das Gedenken an deutsche Täter zu enttabuisieren. Genau das werden sie auch wieder dieses Jahr am 20. August in Wunsiedel versuchen.
Doch für die Kampagne NS-Verherrlichung stoppen bedeutet das Jahr 2005 auch: 60 Jahre Sieg über den deutschen Faschismus. Das wiederum heißt: Erinnerung an alle Antifaschistinnen und Antifaschisten, die gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben und Gedenken an die Opfer des Nazi-Regimes.
Also, Wundsiedel und Magdeburg waren verboten, aber......
Nazis spazieren durch Mitte
Über 500 Neonazis marschierten am Samstag mitten durch die Stadt - vom Alexanderplatz nach Lichtenberg. Protest gab es nur von linksradikaler Seite
Die Nachricht kam am Freitag per SMS: "Wacht auf, ihr Schlafmützen. Nazis mobilisieren zu einer ,Ersatzveranstaltung' für Wunsiedel zum Alex." Innerhalb weniger Minuten war die gesamte Berliner Antifa-Szene informiert. Dennoch kam der Aufruf zu spät. Unter dem Motto "Meinungsfreiheit für alle - Paragraf 130 abschaffen", konnten am Samstagvormittag etwa 700 Neonazis weitgehend ungestört vom Alexanderplatz über die Frankfurter Allee bis zum Bahnhof Lichtenberg marschieren. Die GegendemonstrantInnen brachten es nicht einmal auf halb so viele TeilnehmerInnen.
Der Aufmarsch stand im Zusammenhang mit dem Rudolf-Heß-Gedenkmarsch im bayerischen Wunsiedel. Alljährlich gedenken tausende Rechtsextremisten des Hitler-Stellvertreters, der sich am 17. August 1987 im Spandauer Gefängnis das Leben nahm und seitdem in Wunsiedel unter der Erde liegt. Doch in diesem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht den Aufmarsch wegen seines volksverhetzenden Charakters verboten. Daraufhin mobilisierten die Neonazis nach Nürnberg und Magdeburg. Aber auch dort untersagten die Behörden den Aufmarsch. In Berlin hingegen gab die Versammlungsbehörde den Neonazis grünes Licht.
Obwohl die Veranstaltung offen als zentrale Ersatzveranstaltung für Wunsiedel beworben wurde, habe die Innenverwaltung keinen Bedarf für ein Verbot gesehen, beschwerte sich ein Sprecher der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB). Die neue Strategie, rechte Aufmärsche zu dulden und vor der Bevölkerung zu verschweigen, sei ein "Schlag ins Gesicht". "War noch am 8. Mai die Rede davon, alle seien aufgefordert, gegen Nazis die Stimmen zu erheben, sind diese Bekenntnisse in eine Verharmlosungs- und Desinformationspolitik gemündet", so der Antifaschist weiter.
Die ALB hatte den Aufruf der Neonazis am Freitag im Internet entdeckt und es geschafft, innerhalb weniger Stunden den Gegenprotest zu organisieren. Trotz der geringen Zahl der GegendemonstrantInnen gelang es einzelnen Gruppen, den rechten Aufmarsch mit Pfiffen und Israel-Fahnen zu begleiten und lautstark "Nieder mit der Nazipest" zu skandieren. Weil es jedoch auf linker Seite keinen gemeinsamen Treffpunkt gab und kaum koordinierte Absprachen, kam es auch zu keinen größeren Blockaden - dafür aber zu zahlreichen Festnahmen.
Nach Angaben der Polizei wurden elf Gegendemonstranten festgenommen, unter anderem wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot und Beamtenbeleidigung. Es habe "Schubsereien" gegeben, so ein Polizeisprecher. Die Initiatoren der linken Aktionen sprachen hingegen von "Schlagstockeinsatz" und "massiver Gewalt". Mehrere Protestierer und unbeteiligte PassantInnen seien verletzt worden.
Erst am Abend hellte sich die Stimmung bei den Antifas wieder auf. 300 von ihnen versammelten sich zu einer Spontandemo in Friedrichshain und liefen zum Bahnhof Lichtenberg. Die Nazis waren weg. FELIX LEE
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taz Berlin lokal Nr. 7748 vom 22.8.2005, Seite 21, 102 Zeilen (TAZ-Bericht), FELIX LEE