Hardcore, Punk & andere Turbolenzen Kolumne

DAS GEHT JA GUT LOS: VON BESCHRäNKTEN UND NOCH MEHR BESCHRäNKTEN

Wenden wir uns weitaus angenehmeren Themen zu, etwa meiner Sichtung der wahnsinnig großartigen Hardcore-Truppe ROTTING OUT (hier). Diese stechen nicht nur aufgrund der fehlenden Vorderzähne des Frontmannes hervor, sondern ganz besonders durch ihren ungemein authentischen Hardcore Punk-Sound, der aus den dunklen Tiefen L.A.s stammt und sich von dort aus in die weite Welt hinaus boxt. Bitterböse und wahrlich vom Leben gezeichnet, malträtiert sich Walter Delgado mit seiner eigenen Vergangenheit und Herkunft und erschafft dabei zusammen mit seinen famos musizierenden Dudes einen Hardcore-Sound wie er echter, schmerzhafter, ja fühlbarer nicht sein könnte. "The Wrong Way" ist einfach nur DER Shit: Elf Bomben in dein Gesicht!



Wunderbarst an die Wand gebügelt wurde ich auch von der recht frischen Band PERFECT PUSSY. Ihr Track "I" landete eher zufällig in meinem Player und da jener voll aufgedreht war, schoss das Noise Punk-Riot Grrrl-Gewerk der Band um die ehemalige Frontfrau von Shoppers mit seinen verqueren Sounds und eigenlebigen Melodien nur so durch den Raum und erfasste mich in Sekunden. Diese betörenden Riffs, dieses fulminant blasse Geschrei, diese unheimlich intimen Lyrics und dazu eine überwältigende Energie: Einzigartig. Damit ist sogar der Weg in die Feuilletons dieser Erde möglich.


Als großer Listen-Fan freue ich mich natürlich jedes Jahr über die Jahres-Bestenlisten hinsichtlich Alben, Songs, Bands und Bärte. Auch Jeremy Bolm, Sänger von TOUCHÈ AMORE, postete seine zehn Lieblingsalben aus 2013 über seinen Instagram-Account und ließ seinen breiten Musikgeschmack aufblitzen. Neben Bands wie THE NATIONAL, DAUGTHER oder DRUG CHURCH konnte ich da auch eine mir bis dato unbekannte Screamo Punk-Band aus Münster (!) wiederfinden. "Na hoi" dachte ich, gleich mal auschecken, und tatsächlich, JUNGBLUTH mit Namen und als Trio erst seit August 2012 unterwegs, vollführen einen gar fantastischen Tanz zwischen chaotischen Prügelattacken, verzogenen Dissonanzen und gewalttätigen Paraden. Das Trio, welches sich nach dem Antifaschist und Kommunisten Karl Jungbluth benannt hat, lieferte in den letzten Monaten gut ab und konnte meinem Vernehmen nach auch schon auf dem 2013er-Fluff für Furore sorgen - da fällt mir ein, dass ich 2014 da mal wieder hin muss!



Eine ganz fabelhafte Show gab es noch Ende Dezember im wunderbaren HOLZ zu Niesky. Gerade im Hinblick darauf, dass das Jugendzentrum in Zukunft wahrscheinlich noch seltener Austragungsort von Konzerten sein wird, war die Vorfreude auf das Konzert mit Born From Pain, Deathrite, Gone To Waste, Take The Trash Out und Berzerk dementsprechend immens ausgeprägt und das HOLZ auch amtlich gefüllt. Gestartet haben dann BERZERK, die mit flotten Metalsounds einen starken Opener gegeben haben. Knackiges Set, abwechslungsreiche Tracks und kein großes Trara - mehr als angenehme Show. Danach kamen TAKE THE TRASH OUT um den ehemaligen TORMENT OF PROMETHEUS-Frontmann auf die Bühne. Nachdem die ersten Tracks irgendwie gar nicht zünden wollten, ging es ab der zweiten Hälfte bergauf und der knallige Metalcore brachte die ersten Beine zum Fliegen. So richtig überzeugend war das jedoch nicht, dafür haben einfach die musikalischen Ideen gefehlt. DEATHRITE haben dann wie gewohnt mit noisig-dampfenden Soundmatsch und zerberstendem Grind Metal Punk aufgetrumpft, auch wenn hinten raus, vor allem aufgrund der nicht zu leugnenden Eintönigkeit, ein wenig die Luft raus war. Als vierter Act standen GONE TO WASTE auf der Bühne, die gerade den Start ihrer Winter-Tour hinter sich hatten und in Niesky ihre zweite Tour-Show gaben. Absolut sympathisch die vier Jungs aus Warburg und sehr coole Darbietung; die drückenden Songs gab es zusammen mit ordentlichen Ansagen und viel Energie, was will man mehr. Die Luft wurde somit nun auch wärmer und wärmer und es war an der Zeit für den Headliner, BORN FROM PAIN. Jene haben schon mehrfach das HOLZ abgerissen und waren auch an diesem Abend gewillt, alles zu geben. Ein Megasound hat sie dabei unterstützt sowie eine feierwütige Meute, sodass es viel Pogo, Mosh und Stagedives gab. Die Stimmung war super und mein Lieblings-BFP-Song "Kill It Tonight" mit dem wohl finstersten Metal-Moshpart ever war erfreulicherweise sogar das Show-Finale. Einzige Wehrmutstropfen waren die ewigen "Kommt mal nach vorne"-Ansagen und die fehlenden Tracks der letzten Platte, inklusive dem Einsatz von elektronischen Sounds. Auf die hatte ich mich doch entschieden gefreut, doch die "neuen" Tracks von "The New Future" will wohl kaum einer hören. So war es ein außerordentlich schicker Abend mit vielen netten Menschen, einer Spende von 136,50€ an die Hardcore Help Foundation und bester Musik.

Zu guter Letzt ist mir mal wieder aufgefallen, was für peinliche und wirklich beschissene Blüten Hardcore auch treiben kann. Ich habe vor kurzem die Facebook-Page von "Hardcore World Wide" geliket, da darüber stets neue Videos zu aktuellen Hardcore-Tracks erscheinen und es auch immer wieder interessant zu sehen ist, auf wechen Teilen der Erde Hardcore so alles existiert. Leider musste ich jedoch nach drei Wochen wieder den "Dislike"-Button aufsuchen, viel zu traurig war das Meiste anzusehen. Neben dem Fakt, dass irgendwie kaum wirklich gute Musik dabei war, sind die dazugehörigen Videos zum größten Teil auch einfach nur zum Gruseln - und Fremdschämen im Namen von Hardcore. Nicht, dass ich schon je ein wirklich ansehnliches oder einfallsreiches Hardcore- oder Punk-Musikvideo gesehen habe (ihr etwa?), aber was da zum Teil - neben diesen gnazen Band-steht-im-Wald-und-Zwei-Personen-Story-endet-im-Weglaufen-von-vor-was-auch-immer - auf den heimischen Rechner projiziert wird, ist nicht nur qualitativ unterirdisch, sondern nicht selten ein Produkt von billigen Jungsphantasien und infantilem Humor. Egal ob IN OTHER CLIMES, DROWNING oder FALLBRAWL, entweder gibt es den notirischen Gangster mit Stripperinnen an der Seite oder gezwungen spaßwütige Jungs im Poolhaus der Eltern. Frauen kommen dabei nur als Sex-Toys daher, das Posen steht im Vordergrund und die Message ist nicht vorhanden. Dies ist eigentlich 1:1 Popmusik in Videoform, Musik ohne Inhalt, rein auf das Gefühl oder einen bestimmten Film fokussiert; allein das Knüppelharte entfernt diese Bands noch vor kompletten Mainstream-Vereinnahmung. Es will lustig sein und ist es nicht, es hat keinen Anspruch und feiert sich selber, es ist einfach scheiße. Nur leider: Die Klickzahlen sind immens. Was wollte Hardcore noch einmal sein?

Nach all den traurigen Clips soll es zum Abschluss ein schickes Musik-Video geben, quasi als Gegenmittel, voller Anmut, großer Szene, schöner Menschen und natürlich wunderbarer Musik. Und da die Beastie Boys mal als Hardcore Punk-Band angefangen haben, sich u.a. für Frauenrechte einsetzen und niemals versucht haben, ihre weißen Wurzeln zu verdrängen, gibt es an dieser Stelle den Song "Sabotage" aus dem Album "Ill Communication". RIP MCA!

 

Bilder/Credits: www.audiofemme.com

Autor: KingpinRegistriert: 28.05.2004 - Verfasste Artikel: 347 - Forenposts: 757 - Alle Artikel anzeigen
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